Rituelle Gewalt in Schleswig-Holstein
Satanische Kulte finden auch in Schleswig-Holstein ihre Opfer. Dem Kieler Frauennotruf sind Fälle aus Kiel, Neumünster und Lübeck bekannt, bei denen junge Mädchen in frühester Kindheit missbraucht, mit grausamen Ritualen misshandelt, mit Drogen gefügig gemacht und zur Pornografie gezwungen wurden. Der Kieler Verein Lotta, Ambulante Betreuung für Frauen, schlägt nun Alarm. Direktlink zu LOTTA: hier!
. Lotta ist die einzige Facheinrichtung mit einem stationären Angebot für Opfer ritualisierter Gewalt in Schleswig-Holstein. Der Verein hat vier Wohngruppen mit zwölf Plätzen und betreut ambulant 30 Frauen über einen langen Zeitraum. Von allen weiblichen Opfern, die der Verein derzeit behandelt, sind etwa 35 Prozent von organisierten Täterkreisen misshandelt worden. Die Tendenz ist steigend: „Wir können längst nicht alle aufnehmen, die dringend einen Platz benötigen“, sagte Janina Jesse von der Beratungsstelle Lotta. „Immer mehr Frauen kommen zu uns, die das erlebt haben und verarbeiten wollen. Wir sind dem Ansturm nicht gewachsen.“
Die Wartezeiten bei Lotta betragen mindestens ein Jahr und mehr. Wenn Frauen akut Schutz suchen, weil ihnen ein Ausstieg aus einem Satanskult oder einem germanofaschistischen Ring gelungen ist, steht der Verein vor einem Problem: „In Deutschland gibt es keinen Landstrich, der nicht von den Täterkreisen durchdrungen ist und die Frauen nicht aufgespürt werden könnten. Auch an der Nord- und Ostseeküste in Schleswig-Holstein sind die Opfer nicht sicher“, sagte Jesse. Und: Die Täter arbeiteten bewusst damit, dass diese Geschichten so unglaubwürdig klingen, damit sie als „Märchen“ abgetan und nicht weiter verfolgt werden. Erkennen kann man diese Menschen nicht, denn sie tragen keine sichtbaren Symbole.
Auch der Kieler Frauennotruf ist mit seiner ambulanten Betreuung seit 20 Jahren spezialisiert auf derartige Fälle. „Wir haben im vergangenen Jahr 24 Opfer im Alter zwischen 20 und 50 Jahren gehabt. Im Schnitt ruft alle 14 Tage eine Frau an“, sagte Imke Deistler, Psychologin und Psychotherapeutin. Die Missbrauchsopfer kommen erst spät in die Beratung, weil sie im Alter nicht mehr manipulierbar sind und dann merken, dass etwa mit ihnen nicht stimmt. „Ich habe mehrere Frauen behandelt, die aus Kieler Täterkreisen mit zahlreichen Mitgliedern ausgebrochen sind. Auch in Lübeck und Neumünster gibt es Kreise“, sagte Deistler.
Pastor Jörg Pegelow von der Arbeitsstelle Sekten-Weltanschauungsfragen der Nordelbischen Kirche ist sich sicher, dass es diese Kulte in Schleswig-Holstein gibt: „Das Themenfeld ist weitgehend unerforscht. Die Opfer sprechen nicht darüber, weil sie Angst haben oder so traumatisiert sind und ihr Schicksal nicht öffentlich machen wollen.“ Aus diesem Grund gebe es auch kein gesichertes Zahlenmaterial. Bei der Polizei sind in den vergangenen Jahren keine derartigen Delikte registriert worden. „Das soll aber nicht heißen, dass es kein Dunkelfeld gibt“, sagte Uwe Keller, Sprecher des Landeskriminalamtes. Frauen zeigen ihre Peiniger nicht an, weil sie lange in deren Bann stehen und Angst vor Racheakten haben.
Die sadistischen Misshandlungen werden von Tätergruppen begangen, die sich spezielle Orte wie Keller, Scheunen, Dachböden oder Kultstätten unter freiem Himmel suchen. Dort sind verschiedene Folterwerkzeuge, satanische oder heidnische Symbole wie zum Beispiel umgekehrte Kreuze, schwarze Kerzen und Pentagramm angebracht. Die Täter tragen oft Masken und schwarze Kapuzenmäntel, um nicht von Opfern oder Konsumenten der aufgenommen Filme erkannt zu werden. Den Mädchen wird erzählt, dass sie an einer „heiligen Handlung“ teilnehmen und „auserwählt“ wurden.
Die Täter haben Kontrolle und Macht. Die Kulte sind hierarchisch aufgebaut. Die Führungspersonen kommen aus den „besten“ Kreisen: Richter, Politiker, Militärs, Kirchenleute, Polizisten, Ärzte … Mediziner werden benötigt, um die Wunden der gefolterten Kinder zu behandeln, Polizisten, um die Spuren zu verwischen. Neben der eigenen Befriedigung sind sie auf Geld aus. Für Filme der grausamsten Misshandlungen zahlen Konsumenten hohe Summen. Oft werden die „abgerichteten“ oder „programmierten“ Kinder auch an zahlungsfreudige Anhänger dieser Kulte vermietet oder verkauft. Mit der Vermarktung werden einer Studie zu Folge im In- und Ausland Milliarden verdient.
Wenn es Frauen gelingt, diese Kreise zu verlassen, haben sie schwere psychische Schäden. Oft dringen die Therapeuten am Anfang nicht bis zum Kern der Störung vor. „Es dauert sehr lange, bis sich Frauen öffnen und von ihren schrecklichen Erlebnissen aus der Kindheit berichten“, sagte Jesse. Wegen dieses extremen Missbrauchs mussten viele Frauen die Erfahrungen „abspalten“, um zu überleben. Aber irgendwann kommt diese Erinnerung hoch.
Artikel von Günter Schellhase in KIELER NACHRICHTEN 15.10.2012