HERZOG-DÜRCK, Johanna: Personale Psychotherapie als Element integrativer Traumatherapie
Der in dieser Textsammlung vorgestellte psychotherapeutische Ansatz wurde entwickelt von der Psychotherapeutin Johanna Herzog-Dürck (1902–1991). Er wird zu den anthropologischen Psychotherapien gezählt, die den Kranken in seinem individuellen ganzheitlichen Gefüge in den Mittelpunkt der psychotherapeutischen Arbeit stellen.
Personale Psychotherapie kann die therapeutische Praxis ergänzen um ihre hermeneutische und imaginative Achtsamkeit für bestimmte Aspekte menschlichen Erlebens, Erleidens und Bewußtseins, nicht zuletzt um die anthropologisch orientierte Aufmerksamkeit für die spirituelle Dimension menschlichen Bewußtseins, die sich in individuell sehr unterschiedlicher Weise äußern kann: philosophisch, ökosophisch-ganzheitlich, buddhistisch, orientiert an Tao oder anderer fernöstlicher Spiritualität, pantheistisch oder monotheistisch.
Herzog-Dürck beschreibt Satz für Satz seelische (psychische) Erfahrungen und Befindlichkeiten, die wir alle kennen – wenngleich manche von ihnen oft weit abgedrängt sind aus dem alltäglichen Bewußtsein und seinen sozial konsensuellen Momenten. Trotz ihrer Orientierung an der überragenden Bedeutung der psychischen Entwicklung in der Kindheit geht dieser Ansatz aus von einer lebenslang möglichen Weiterentwicklung der Persönlichkeit; therapeutisches Ziel ist also nicht nur die Kompensation psychischer (Entwicklungs-) Defizite.
Besonderes Gewicht liegt bei Herzog-Dürck auf der Traumdeutung, – die sich allerdings erheblich unterscheidet von dem öffentlich bekannteren Umgang mit Träumen, wie er von Sigmund Freud geprägt wurde.
Eine Neigung zu technizistisch-mechanistischen Lösungen haben sowohl die (medizinisch-somatisch begründete) Psychoanalyse als auch die (weitgehend neurophysiologisch begründete) Psychotraumatologie. Dies wirkt sich im traumatherapeutischen Arbeitsfeld mittlerweile aus in der Konzeption immer neuer traumatherapeutischer Methoden (und "Instrumente"), die dazuhin gerne ins Korsett von Therapiemanualen geschnürt werden. Insbesondere Überlebende schwerwiegender Entwicklungstraumata (d.h. Beziehungstraumatisierungen in der Kindheit) mit ihrer Verletzung, Verwirrung und teilweisen Unentwickeltheit psychischer Strukturen brauchen jedoch therapeutische Unterstützung im gesamten Feld ihres Menschseins; – statt nur zu "überleben", müssen sie leben erst lernen.
Es gibt regelhafte Folgen von Psychotraumatisierungen, die bei beiden "Schulen" nur peripher beachtet werden und der indiviellen Kompetenz von TherapeutInnen/HelferInnen anheim gestellt sind. Stichworte für solche Folgen sind: Scham – Schuld(gefühl) – Wozu bin ich auf der Welt? – Wer bin ich? – Wieso geschah es gerade mir? – Bin ich wert, daß mir geholfen wird? – Suche nach inneren Ressourcen, Intentionen, eigenem Wollen, eigenen Bedürfnissen – Schicksal als unauflösbare Verfügung? – Was ist "ein Mensch"? – Was ist gut? Was ist böse? – Kann ich auch anders sein? – Zukunft, Hoffnung – Was ist Liebe (für mich)? Sexualität? – Ambivalenz: Zuneigung zum Täter (primäre Bezugspersonen) – Abgrenzungen – Nein sagen … Das alles ist jedem Therapeuten/jeder Therapeutin bekannt, am Rande der "eigentlichen" therapeutischen Themen gehört es irgendwie dazu.
Meiner praktischen Erfahrung nach müssen diese Probleme bei solchen in der Kindheit einsetzenden Traumatisierungen den höchsten Stellenwert in traumapädagogischer/-therapeutischer Arbeit haben. Das mit diesen Stichworten angedeutete Leid ist meist schwerwiegender als die konkreten bösartigen Handlungen, denen die Betroffenen ausgesetzt waren.
In der längerfristigen Begegnung mit Überlebenden schwerster Psychotraumatisierungen seit der Kindheit (allermeist sexualisierte Gewalt durch Bezugspersonen, Organisierte Rituelle Gewalt mit Zwangsprostitution) zeigt sich oft ein so hohes Maß an humaner Gesinnung, daß sich die Frage aufdrängt: wie kann das sein bei Menschen, die vor allem in Kindheit und Jugend fast nur unbeschreiblich grausame, sadistische Gewalt erfahren haben? Und woher kommt die Kraft zum Heilungsweg? Was haben diese Menschen für Ressourcen? Meine grundlegende Verbindung mit solchen Überlebenden war immer der Kontakt mit einer Lebenszugewandtheit jenseits aller (schlimmer) Erfahrungen, einer Lebenszugewandtheit, die durchaus auch in täterorientierten, therapieaversiven Persönlichkeitsanteilen zu spüren ist. Es war und ist im Grunde das pure Leben, das ich mit meinem puren Leben ansprechen konnte, das sich angesprochen und bestätigt, gestärkt fühlte; dies war mein "Therapiepartner". Es geht hier also auch um eine Beziehungsebene jenseits der traumatherapeutischen Methoden, der trauma-pädagogischen Interventionen. Genau diesen Blickwinkel, diese Haltung habe ich jetzt, nach bald 20 Jahre Erfahrung mit diesem Klientel, bei Johanna Herzog-Dürck wiedergefunden. Sie schreibt dazu: "Es ist die Intentionalität der Person, die zwar abgedrängt und aufgespeichert im Unbewußten, dennoch gerichtet bleibt auf die Einstimmung des Menschen in die Welt."